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Der Krabbenkorb


Ich gehörte zu jenen Abnehmenden, die sich dachte, dass diese ganzen Schilderungen erfolgreicher Abnehmerinnen und Abnehmer über Kommentare aus ihrem Umfeld doch übertrieben seien. Ich gehörte zu denen, die sich ausrechneten, dass sie sich auch über Negativkommentare zur Abnahme freuen würde, weil das ein Zeichen dafür sein, dass die Abnahme bemerkt und als Prozess oder gar als Leistung anerkannt wird.
Nun. Ich lag falsch. Ich habe noch nicht mal allzu viele Kommentare bekommen, aber die wenigen sind schon genug. Ein paar Beispiele.

Ich: „Ich kratze gerade an den 70 kg, komme aber nicht drunter.“
Gegenüber: „Das sind doch niemals 70 kg! Wo sind das 70 kg?!?“
Ich habe dann das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Schlimmer noch: Im Prinzip wird mir eine Lüge unterstellt. Und das ist dann schon ziemlich dreist.

Eine andere Person kommentiert meine Abnahme schon länger, meistens durch Komplimente. Allerdings gab es auch schon ein Gespräch, in dem sie mir, vermutlich scherzhaft gemeint, unterstellte, ich würde doch nicht nur Sport machen und weniger essen durch das Kalorienzählen sondern sonst noch irgendwas nehmen. So nach dem Motto „mir kannst Du es ja verraten, ich will selber abnehmen“. Letztlich ist das wieder die Unterstellung der Lüge.

Eine Nachbarin hat sich neuerdings zweimal dazu hinreißen lassen, mich, als ich gerade erkennbar auf dem Weg zum Sport war, demonstrativ zu fragen, ob ich zu Sport überhaupt noch in der Lage sei. Laut. An der Straße. Vor Dritten, mit denen sie gerade im Gespräch war und mit denen ich im Grunde nichts zu tun habe. Ich wurde bloßgestellt. Und wieder diese Unterstellung, dass ich entweder lüge (weil ich vorgebe zum Sport zu gehen, obwohl ich ihrer Definition nach doch eigentlich umfallen müsste) oder meine Leistungsfähigkeit überhaupt nicht mehr gegeben sei.

Dass mittlerweile mehrere Menschen geäußert haben, dass es nun doch nicht weniger werden dürfe mit meiner Abnahme, dürfte nicht überraschen.


Es nervt nicht nur. Es ist übergriffig. Ich muss mich für meine Abnahme nicht rechtfertigen. Vor niemandem. Und niemand hat das Recht, mich in eine Situation zu manövrieren, in der ich das Gefühl habe, genau das tun zu müssen. Ich ertappe mich beim Schreiben schon dabei, meine Größe und mein aktuelles Gewicht anzugeben, um zu unterstreichen, wie abwegig so einige Kommentare sind. Ganz abgesehen davon, dass man das im Blog ja auch so findet, wäre ich damit dann aber genau in die Rechtfertigung reingelaufen, die ich eigentlich nicht liefern will.

Bemerkenswerterweise steht mir von denen keiner so nah, dass ich eine wirkliche Sorge verstehen könnte. Sie kennen meine Lebensumstände kaum oder gar nicht. Einzig eine Person, deren Tochter magersüchtig war, hat vielleicht mehr Grund, sich zu äußern (und zu ihr ist der Kontakt auch näher). Allerdings sind ihre Äußerungen auch nicht dazu geeignet, mich vor einer möglicherweise befürchteten Magersucht zu retten (ganz abgesehen davon, dass das nicht nötig ist).

Frau Maja hat in einem ihrer vielen lesenswerten Blogbeiträge den schönen Satz geprägt:

Ich habe immer wieder klarstellen müssen, dass es genau einen Menschen etwas angeht, was ich mit meinem Körper mache, und das bin ich.

So true.
Dabei ist es nicht so, dass ich nicht über die Abnahme reden will. Ich freue mich über echte Komplimente (ich komme aber auch ohne aus). Ich erzähle auf Nachfrage auch gerne, wie ich das gemacht habe und wo ich noch hin will (aber auch da spare ich mir aus, das noch zu vernichtende Fett auf der meinem Geschmack nach noch sehr wabbeligen Bauchdecke zu erwähnen). Und wenn jemand tatsächlich den einen oder anderen Tipp will, dann versuche ich gerne, einen sinnvollen Rat zu geben (auch wenn ich das eher zurückhaltend tue, weil die individuellen Rahmenbedingungen schon sehr unterschiedlich sein können). Aber mehr ist halt nicht notwendig. Und mehr will ich mir auch nicht anhören.

Während ich diesen Text schreibe, fällt mir auf, dass ich die oben beispielhaft (und keinesfalls abschließend) aufgeführten Kommentare nur von Frauen erhalten habe. Vermutlich sind wir es derart gewohnt, dass unser Körper kommentiert wird, dass wir das für normal halten und ebenfalls tun (ich schließe mich hier ausdrücklich ein, ich ertappe mich selber immer wieder bei solchen Gedanken).


P.S.: Warum der Text „Krabbenkorb“ heißt, lässt sich herausfinden. ;) Ja, die Formulierung ist überspitzt. In diesem Falle ist es ein Stilmittel.
Mir ist schon klar, dass die Kommentatorinnen meiner Abnahme keine bösen Absichten verfolgen (zumindest nehme ich das an), aber auch wenn mir jemand versehentlich über den Fuß fährt, ist der Fuß danach trotzdem blau oder gar matschig. Auch wenn sie unbedacht ausgesprochen sind, entfalten solche Sprüche ihre Wirkung dennoch. Dessen sollte sich jeder bewusst sein, der so etwas sagt.


P.P.S.: Zur Illustration dieses Artikels habe ich nach Krabbenkorb-Bildern gesucht, aber meistens nur Fish-and-Chips-Fotos gefunden. Das entbehrt im Kontext dieses Blogs dann auch nicht einer gewissen Ironie.

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